» Everything that is absorbed and registered in your mind adds to the collection of ideas stored in the memory; a sort of library that you can consult whenever a problem arises. So, essentially the more you have seen, experienced and absorbed, the more points of reference you will have to help you decide which direction to take: your frame of reference expands.«

Herman Hertzberger: »Lessons für Students in Architecture« [1991], in: B. Lawson, 2006, S. 156

Einer der Werte der Geschichte im Architekturstudium liegt darin, dass diese ein Referenzobjekt an sich darstellt. Denn das Lehrfach hat selbst bereits unterschiedlichste Rollen im Verlauf der Geschichte der Architekturausbildung eingenommen: Es hat bis ins 19. Jahrhundert das Reservoir wertvoller (Bau-)Formen zur unmittelbaren Verwendung in der Entwurfs- und Baupraxis selbstverständlich wachgehalten und gelehrt; Architekturgeschichte hat im vergangenen Jahrhundert aber auch immer wieder die Basis geboten, sich wahlweise vom historischen Erbe kritisch zu distanzieren oder ein erneutes Eintreten darauf zu forcieren bis hin zu ironisieren; sie mag heute bisweilen dazu genutzt werden, um die Verwertbarkeit historischer Bezüge zu verifizieren, zu reproduzieren oder auch zu banalisieren. Es geht also nicht ohne Architekturgeschichte, denn allein sie ermöglicht den Studierenden, überzeitliche Bezüge herzustellen, Reflexionsräume aufzuspannen und je eigene Wert- und Gestaltungsbegriffe vergleichend auszubilden.

Darüber hinaus ist dieses Lehrfach permanent aufgefordert, vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Vielfalt an Zugriffsmöglichkeiten auch zur künstlerischen Praxis des Entwerfens Stellung zu nehmen. Architekturgeschichte ermöglicht diese Praxisbezüge – etwa in Studienfeldern wie dem Bauen im Bestand – und befördert zugleich Methodenbewusstsein, indem sie den Architekturstudierenden generell reflexives Denken und Arbeiten außerhalb und innerhalb des Entwerfens abverlangt.

Es lassen sich die Lehren der Architekturgeschichte damit auf eine erste, kurze Formel bringen: Sie muss in der Lage sein, das architektonische Denken sowohl auf der Ebene des Konzipierens, des Produzierens als auch des Interpretierens zu befördern und zu vermitteln!



»Der architektonische Entwurf umfasst ein komplexes Konglomerat von vielen, auch überraschenden Akteuren, die in der Architekturtheorie nur selten berücksichtigt werden.«

Bruno Latour, Albena Yaneva: »Die Analyse der Architektur nach der Actor-Network-Theorie«, 2008, S. 85

Für den Bereich der Theorie besteht noch intensiver die Besonderheit, dass sie die praxisbezogenen Inhalte eines Architekturstudiums als reflektierende Disziplin begleitet und unterstützt und sich zugleich ständig selbst befragt, auf welche Gegenstände sich ihr Interesse richtet und mit welchen Methoden sie arbeitet.

Ein Anstoß, über die Theorie neu nachzudenken, liegt darin, deren Selbstverständnis sowie deren Verbindungen zur sich ständig adaptierenden Praxis der Architektur zu überdenken und dabei den erneuernden Begriff der Architekturwissenschaft einzubringen. Denn, Wissenschaft ist an dieser Stelle mehr als Theorie, und diese kann zunächst viel eher den weiten innerdisziplinären Bogen im Fach der Architektur überspannen. Über welche Gegenstände diese Wissenschaft dann zu sprechen beginnt, welche Theorien sich mit ihr formen – das steht zur Verhandlung: ob über schriftliche Darlegungen oder über die Artefakte, also die Bauten selbst, ob über Notationen und Repräsentationen des Geplanten und Gebauten, ob über das Prozessuale des Entwurfs wie des späteren Gebrauchs gesprochen werden muss.

Auch in der Architekturtheorie ermöglichen uns neue Zugänge wie trans- und interdisziplinäre Methoden das Gesamtphänomen Architektur mit unterschiedlicher Brennweite und unter sich ändernder Blickperspektive zu betrachten. So zeigt uns die (historisch) theoretische Durchleuchtung der Architektur immer wieder, welch multidisziplinärer Gegenstand sie ist und wie sie bisweilen entfernte Wissensfelder neugierig in sich aufnimmt und höchst verschieden gestaltend verarbeitet.

Für die Lehrbereiche Geschichte und Theorie gilt im selben Maß, dass sie gestaltende Fächer mit einem bestimmten setting wissenschaftlicher Methoden vertraut machen. Sie fordern das Quellenstudium genauso wie die Beobachtung am Objekt; sie lehren Quellenkritik genauso wie sie kreative Textarbeit fördern; sie unterweisen in der Beschreibung genauso wie sie kulturwissenschaftliche Zugänge als kritisches Instrument nutzen.